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Von rund 50 Schauspieler:innen, die „praktisch mit Anlauf in einen Shitstorm springen“, schrieb Daniel Laufer zu Beginn der Woche. Viele der Prominenten, die sich bei der Kampagne #allesdichtmachen beteiligten, zeigten sich im Nachhinein überrascht über die harschen Reaktionen, relativierten ihre Aussagen oder löschten ihre Beiträge. Anders reagierte „Tatort“-Regisseur Dietrich Brüggemann: Er beklagte sich weiter über ein „alleiniges Regime des Coronavirus“ und hörte nicht auf, gegen Kritiker:innen auszuteilen. Als Drahtzieher der Aktion will er sich aber nicht verstehen.
Vielleicht kein Shitstorm, aber zumindest ein mäßiger Gegenwind schlägt mittlerweile auch der Luca-App entgegen. In seinem Gastbeitrag fragt der IT-Unternehmer Ralf Rottmann, warum die Bundesländer schon Millionensummen für Luca zahlten – bevor sich der Einsatz des Systems überhaupt erst bewähren konnte. Eigentlich seien in der Branche nutzungsabhängige Preismodelle üblich. Über ein solches Modell kauft auch Luca seine Ressourcen und Dienstleistungen ein.
Dazu kommt: Es sieht nicht so aus, als ob sich der Nutzen der Luca-App bewährt. Nur drei von 137 Gesundheitsämtern, die sich auf eine Umfrage des Chaos Computer Club (CCC) zurückmeldeten, haben das System bisher eingesetzt. Insgesamt sind aber schon 288 Gesundheitsämter in Deutschland bei Luca registriert. Dass sie Luca nicht nutzen, könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass mögliche Einsatzorte für die Luca-App wie Einzelhandel oder Gastronomie in weiten Teilen Deutschlands gar nicht geöffnet sind. Doch das hätte man vor dem millionenschweren Einkauf des Systems absehen können, sagt Chris Köver.
Während Deutschland bereits vorsichtig über die Zeit nach der Pandemie nachdenkt, hat sich die Lage in Indien immer weiter verschärft: Erschreckende Bilder von der völligen Überlastung der Krankenhäuser und Krematorien gingen in den letzten Tagen um die Welt. Doch in Indien selbst schränkt die Regierung unabhängigen Journalismus und freie Meinungsäußerungen auf sozialen Netzwerken zunehmend ein.
Neues aus Brüssel
Unser Brüssel-Korrespondent Alexander Fanta hat sich zu Beginn der Woche mit dem Vorschlag des „digitalen grünen Nachweises“ beschäftigt. Die Ideen der EU-Kommission weckten bei den einen Hoffnungen auf Sommerurlaub am Mittelmeer, bei den anderen Skepsis. In einem offenen Brief mahnten NGOs, dass der Datenschutz bei einer schnellen Entwicklung nicht zu kurz kommen dürfe. Abgeordnete im EU-Parlament warnten, dass das System nicht zum Tracking von Personen missbraucht werden dürfe.
Matthias Monroy berichtet darüber, wie Begünstigte der EU-Sicherheitsforschung auf Gesetzesänderungen zur Einführung verbotener Grenztechnologien drängten. Das ging aus einem jetzt wieder lesbar gemachtem Dokument hervor. Im Mittelpunkt stehen Forschungen am „intelligenten tragbaren Grenzkontrollsystem“ iBorderCtrl, das auf automatisierten Entscheidungen über das Risiko der Personen beruht, die einreisen möchten. Besonders umstritten dabei ist die „Täuschungserkennung“ durch einen polizeilichen Avatar – Kritiker:innen argumentieren, dass ein Einsatz solcher Systeme die Grundrechte verletzen würde.
Um die Verletzung von Grundrechten geht es auch bei der massiven und anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Das belgische Verfassungsgericht hat diese jetzt mit sofortiger Wirkung gestoppt, denn sie verstoße – bis auf Ausnahmen – gegen EU-Recht. Das ist für viele schon lange offensichtlich, da Entscheidungen wie diese aus Belgien in der Vergangenheit auch schon in anderen Mitgliedsstaaten getroffen wurden. Über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland steht ein Urteil jedoch noch aus.
Während es bei der Vorratsdatenspeicherung um Bestandsdaten geht, reguliert die e-Privacy-Verordnung den Zugriff auf Inhalte von Nachrichtenchats. Diese unterliegen eigentlich demselben Schutz wie private Telefonanrufe. Polizeibehörden und Kinderrechtsorganisationen setzten nun eine Ausnahme durch: Anbieter wie Facebook, Google und Microsoft dürfen Chats für die nächsten drei Jahre pauschal auf Inhalte von Kindesmissbrauch scannen.
Bis Anfang Mai muss die Bundesregierung die EU-Urheberrechtslinie in nationales Recht überführen. Dabei steht noch immer ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes über den umstrittenen Artikel 17 aus. Dieser verstößt womöglich gegen die EU-Grundrechtecharta. In den parlamentarischen Verhandlungen scheinen sich die kommerziellen Interessen der Unterhaltungsindustrie durchzusetzen. Doch Sportverbände lobbyieren gegen die Schutzmaßnahmen des Gesetzesentwurfs für legale Uploads. Der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga fordern die ersatzlose Streichung der Bagatellgrenzen aus dem Gesetzesentwurf.
Die EU hat ein Gesetz gegen Terrorinhalte im Netz beschlossen, das in einem Jahr in Kraft tritt. Im Hinblick auf die terroristischen Anschläge in Frankreich und Belgien und den gefährlichen Propagandaapparat des sogenannten Islamischen Staats soll das Gesetz helfen, terroristische Inhalte aus dem Netz zu verbannen. Vorab hagelte es Kritik von einem breiten Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisation, die Abgeordnete dazu aufforderten, gegen das Gesetz zu stimmen. An der Aktion beteiligten sich der CCC, Wikimedia Deutschland und Amnesty International. Sie warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall in der Regulierung von Internetinhalten.
Gastautor Michael Kolain stellt die Gretchenfrage: Bevor ein Patient ein Medikament einnimmt, muss aufgrund umfangreicher Tests feststehen, dass die Risiken beherrschbar sind. Warum aber dürfen Betriebssysteme, Smartphones und Smart-Home-Devices ohne unabhängige Vorabprüfung auf den Markt? Diese Technologien bergen immense Risiken, deren Auswirkungen auf die informelle Selbstbestimmung der Nutzer:innen nicht immer ausreichend beleuchtet werden. In Zukunft will die EU Hochrisiko-KI besser regulieren.
In Kaltland kocht die Stimmung
Wenn rassistische Kommentare über Politiker:innen fallen, Querdenker:innen zu Maskenverweigerung aufrufen oder ein Rundfunk-Kommentator in einem Lied als „Nazi-Sau“ bezeichnet wird, dürfen sich soziale Netzwerke an eine externe Prüfstelle wenden, um sich Hilfe bei der Rechtsbeurteilung zu holen. Im letzten Jahr kam es dazu laut der Prüfinstanz FSM jedoch nur 23 Mal. Das ist erstaunlich wenig.
Nachdem ein Wirtschaftsjurist von seinem Arbeitgeber entlassen wurde, verlangte er die Kopien aller E-Mails, die er im Rahmen seiner einmonatigen Anstellung verschickt oder erhalten hatte. Zusätzlich forderte der Mann die Kopien sämtlicher E-Mails an, in denen ihn Dritte erwähnten. Die Datenschutzgrundverordnung spricht Arbeitnehmer:innen das Recht auf Auskunft und Kopie ihrer Daten zu. Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage dennoch ab. Zu ungenau sei die Forderung des Wirtschaftsjuristen gewesen. Was bleibt, ist die Frage, was genau unter dem „Recht auf Kopie“ zu verstehen ist. Pia Stenner berichtet.
Das Start-Up Gorillas macht negative Schlagzeilen. Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells von Gorillas liegt derzeit auf dem Prüfstein. Markus Beckedahl vermutet, dass die Gründer:innen mit dem Vorschlaghammer schnelles Wachstum anstreben, um später an einen großen Monopolisten für viel Geld zu verkaufen.
Dazu ein anonymer Leser:innenkommentar, der das Problem der Venture-Capital-Deals kurz zusammenfasst: „Mich nerven diese VC-Deals, da hier null Interesse besteht die Welt zu verbessern, Arbeitsplätze zu schaffen oder ein gutes Business aufzubauen. Wenn ich schon lese, dass die jetzt als Einhorn bewertet werden, krieg ich das *****. Schön pitchen, Investor:innen anziehen, fette Kohle absahnen und dann als Gründer:innen mit einem saftigem Konto rausgehen. Lief bei mir in der Firma genauso.“
Apropos Monopolismus: Verbände der deutschen Medien-, Internet- und Werbewirtschaft legten beim Bundeskartellamt eine Beschwerde gegen Apple ein. Der Vorwurf: Apple missbrauche seine Marktmacht mit der Einführung „App Tracking Transparency“-Programms. Der Konzern hält dagegen und baut seine Argumentation auf dem augenscheinlichen Datenschutz seiner Kund:innen auf.
Wer sich ein paar Schritte vom letzten Haus einer deutschen Stadt entfernt, erfährt die wahnsinnig schlechte Netzabdeckung in diesem Land am eigenen Leib. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat jetzt ergeben, dass sich ländliche Regionen am besten über beschränktes nationales Roaming mit Mobilfunk versorgen lassen. In der Novelle des Telekommunikationsgesetzes sind Regelungen vorgesehen, die Netzbetreiber in Zukunft zu Roaming verpflichten sollen.
Und damit verabschieden wir uns in Hoffnung auf bessere Zeiten, weniger Funklöcher und mehr Solidarität.
Bis zum nächsten Mal.
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